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So, 03.03.2024 | 04:20 - 04:53

Literatur (D 2024)

Roberto Saviano: Falcone: Er lebt im Versteck. Er schreibt im Versteck. Seit seinem Buch über die italienische Camorra 2006 kann er nicht mehr als normaler Mensch durchs Leben gehen. In "Gomorrha" schrieb er über das organisierte Verbrechen, wie er es selbst als verdeckter Dokumentarist erlebt hat. Seither steht er unter Polizeischutz. In seinem neuen Buch "Falcone" widmet sich Roberto Saviano dem Richter Giovanni Falcone, der 1992 ermordet wurde. Ein weiteres seiner Kapitel im Kampf gegen die Mafia. Follow the money, folge dem Geld. Dies war Giovanni Falcones Erkenntnis und Methode, an die Köpfe der Mafia zu kommen. Ein Prinzip, das er erkannte, und das ihn schließlich das Leben kostete. Er wird zusammen mit seiner Frau durch eine Autobombe sterben – der tragische Schluss dieses Buches, von dem man von Anfang an weiß, es wird nicht gut ausgehen. Durch den Blick des Richters erleben wir die kleinen Triumphe durch die Mafiaprozesse der 80er Jahre, den Erfolg, Kronzeugen zu akquirieren, aber auch die Hilflosigkeiten angesichts der organisierten Verbrechen. Und wir erleben, wie die Seiten immer brutaler aufeinanderprallen. Wenn Roberto Saviano schreibt, dann zwar dokumentarisch, aber mit großer Empathie für seine Figuren. Atemlos folgt man den guten, mit Wut den bösen Menschen dieses Romans. Im Gespräch mit Denis Scheck berichtet Roberto Saviano von seinen Recherchen, seinem versteckten Leben, das er sich ausgesucht hat und dem Schreiben am Limit, dem er treu bleibt. Roberto Saviano: "Falcone", übersetzt von Annette Kopetzki. Nora Krug: Im Krieg: Zwei Seiten, die sich auf berührende Weise sehr nahekommen. Die Autorin und Illustratorin Nora Krug lässt den Krieg in der Ukraine aus den persönlichen Perspektiven einer ukrainischen Journalistin und eines St. Petersburger Künstlers erfahren. Sie kennt die Menschen nicht, die sie mit ihrer Bitte anschreibt, aber innerhalb eines Jahres taucht sie in ihre Lebenswirklichkeiten ein. Nora Krug, die 1977 in Karlsruhe geboren ist und seit 20 Jahren in New York lebt, hat den Plan, sich den Krieg von zwei Seiten erzählen zu lassen und die Aufzeichnungen zusammenzuführen. Ein Projekt des Friedens innerhalb des Wahnsinns. Die ukrainische Journalistin, die für sie Tagebuch führt, muss mit ansehen wie ihre Heimat Kiew zerstört wird. Sie bringt ihre Kinder nach Dänemark in Sicherheit und reist selbst immer wieder zurück, um von der Front zu berichten. Der St. Petersburger Künstler auf der anderen Seite verurteilt die russische Politik und Putins Überfall auf das bitterste, hadert aber selbst mit der Ausreise aus dem Land, in dem in seinen Augen alles schiefläuft. Es ist eine Meisterleistung der Autorin, dass sie es durch ihr diplomatisches Geschick geschafft hat, in diesem Buch sowohl eine ukrainische als auch eine russische Perspektive abzubilden. "Im Krieg" liefert genau das, was Nachrichten und Reportage nicht liefern können: eine emotionale Ebene. Das Buch erzählt mit Hilfe farbiger Illustrationen, wie es sich wirklich anfühlt, heute in der Ukraine oder auch in Russland zu leben. Der Überfall Russlands auf die Ukraine jährt sich gerade zum zweiten Mal. Im Gespräch mit Denis Scheck spricht Nora Krug über die Idee dieses Buches, über die Schrecken, von denen sie lesen musste und darüber, dass auch Alltag dazugehört. Und davon, wie wertvoll es ist, die Perspektive zu wechseln. Nora Krug: "Im Krieg", übersetzt von Nora Krug und Alexander Weber. Die Empfehlung von Denis Scheck: Demon Copperhead von Barbara Kingsolver, übersetzt von Dirk van Gunsteren: Dieser Roman entführt in die USA – und zwar nach Amerika, nach ganz, ganz unten. Dort, wo himmelschreiende Armut herrscht. Gewalt an der Tagesordnung ist. Und dieses Schreckenspaar, Armut und Gewalt, ein Kind namens Dummheit in die Welt setzen. Barbara Kingsolver erzählt in ihrem sprachgewaltigen Roman von einer Kindheit in der Hölle: der Hölle irgendwo in der Pampa von Virginia, da, wo bis heute das Landprekariat zu Hause ist, die sogenannten Hillbillies. Unser Ich-Erzähler beginnt mit seiner Geburt: Seine Mutter ist 18, sein Vater schon tot, als er zur Welt kommt. Seine Mutter räumt bei der Supermarktkette "Walmart" die Regale ein. Plötzlich taucht ein Stiefvater auf, ein Bierkutscher mit einer Harley, der unter Erziehung eher Faustrecht versteht. Demons Mutter wird keine 30. Sie ist ein frühes Opfer jener skrupellosen Verschreibung von Schmerzmitteln, die als sogenannte "Opioidkrise" allein zwischen 2021 und 2022 über einhunderttausend Amerikaner ihr Leben kostet. Was diesen Roman herausragen lässt und zum großen Literaturvergnügen macht: Barbara Kingsolver erzählt ihre Geschichte ebenso klug wie wortmächtig auf der Folie eines berühmten Vorgängers, nämlich Charles Dickens "David Copperfield". Genau wie Dickens prangert sie Kinderarbeit und Ausbeutung an. Nur läuft einem ein Schauder über den Rücken, weil sie von den USA von heute spricht und nicht von London im 19. Jahrhundert. Diese Vergangenheit ist nicht vergangen. Nach dem Tod seiner Mutter erlebt Demon Copperhead einen Alptraum, der sich wenig von David Copperfields Kindheit unterscheidet: er wird ausgebeutet von diversen Gasteltern, missbraucht, versklavt, ist kurz vor dem Verhungern. Er bringt es Jahre später dennoch zum Footballstar an seiner High School, erwirbt Bildung und denkt nach über sein Herkunftsmilieu der Hillbillies: "Der uralte Kummer dieser Gegend: Die Erfolgreichen gehen, die Versager bleiben." Barbara Kingsolver ist ein erschütternder Roman über die Opioidkrise und ihre Opfer gelungen – ein Buch, das einen die USA mit neuen Augen sehen lässt. – Und wie immer: Denis Schecks pointierte Revue der Spiegel-Bestsellerliste, diesmal Belletristik, musikalisch eingeläutet mit ganz speziellen, ebenso mysteriös-indischen wie clubtauglichen Klängen des Duos Andi Otto und MD Pallavi. Eine Entdeckung!

Thema
  • Roberto Saviano: Falcone.
  • Nora Krug: Im Krieg.
  • Die Empfehlung von Denis Scheck: Demon Copperhead von Barbara Kingsolver.
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